Leitbild

Leitbild der Initiative „Willkommen in Süderelbe:
Initiative für Flüchtlinge und Nachbarn“

Wer sind wir?

Die Initiative „Willkommen in Süderelbe“ engagiert sich seit Ankunft der ersten Flüchtlinge in Neugraben, Fischbek und Neuwiedenthal für eine Willkommenskultur und die Integration im Stadtteil. Mehrere hundert Bürger sind unter dem organisatorischen Dach der Initiative ehrenamtlich tätig – von Sport über Deutschunterricht und Spenden bis zum „Café Welcome“. Die drei Kirchengemeinden der Region (Thomasgemeinde in Neuwiedenthal, Michaelsgemeinde in Neugraben und Corneliusgemeinde in Fischbek) spielen seit Beginn eine prägende Rolle in der Organisation. Die Initiative ist allerdings religiös und weltanschaulich neutral.

Was tun wir – und was tun wir nicht?

Wir organisieren Hilfe für Flüchtlinge und schaffen Gelegenheiten, bei denen sich Einheimische und Neubürger begegnen können – unabhängig davon, wie lange die Flüchtlinge bei uns im Stadtteil bleiben. Und wir haben uns eine Struktur gegeben, die die Nachhaltigkeit unseres Engagements ermöglicht. Ein Verteiler von ca. 1.000 Mailadressen stellt sicher, dass sich immer hilfsbereite Menschen für punktuelle oder dauerhafte Aktionen finden. Die unterschiedlichen Gruppen und Aktivitäten findet man auf unserer Homepage https://insuederelbe.de unter „Mitmachen“.

Wir wollen und können die Arbeit anderer Institutionen nicht ersetzen – wir wollen sie vielmehr unterstützen und ergänzen. Wir überprüfen regelmäßig, welche Kräfte und Kompetenzen wir aufbringen können – und welche nicht. Es wird immer wieder Anfragen oder schwierige Situationen geben, mit denen wir allein nicht fertigwerden können. So bieten wir beispielsweise keine Rechtsberatung an. Wir wollen die Flüchtlingen in ihrer Selbständigkeit und Eigenverantwortung stärken und Hilfe zur Selbsthilfe leisten.

Warum machen wir das?

Das erste und vorrangige Motiv ist: Helfen. Menschen in Not sind zu uns gekommen und brauchen Hilfe und Zuwendung. Dieser für uns selbstverständliche menschliche und christliche Impuls stand am Anfang der Hilfsbereitschaft – und er steht weiterhin an erster Stelle. Den Schutzsuchenden, die oft traumatische Erlebnisse und eine monatelange und lebensgefährliche Flucht hinter sich haben, möchten wir einen Ort zum Ankommen bieten. Wir wollen sie kennenlernen, ihnen helfen und sie begleiten –  bei ihren ersten Schritten in einem fremden Land mit einer für sie neuen und anderen Kultur.

Das zweite Motiv ist: Wir wollen etwas für unseren Stadtteil tun. Neugraben-Fischbek und der Süderelbe-Bereich werden sich in den kommenden Jahren stark verändern und vergrößern – nicht nur durch die Ankunft der Flüchtlinge. Wir wollen, dass die Neubürger und die langjährigen Bewohner in Süderelbe gut miteinander umgehen und leben. Das ist in unser aller Interesse, und deshalb nennen wir uns „Initiative für Flüchtlinge und Nachbarn“.

Gute Nachbarschaft braucht eine gute Gesprächskultur – untereinander und mit denen, die erstmal fremd sind. Wir wollen miteinander reden – nicht übereinander. Nur gemeinsam werden wir gute Lösungen für die komplizierten Fragen der Integration finden – auf der Basis von Informationen und Argumenten statt von Ängsten und Vorurteilen.

Die vor uns liegenden Aufgaben erfordern Geduld und die Fähigkeit, mit Frust und Rückschlägen umzugehen.

Dass die Flüchtlinge keine anonyme, gar bedrohliche Masse sind, sondern Individuen, merkt man am ehesten bei persönlichen Begegnungen mit ihnen. Und diese Begegnungen und manchmal sogar neuen Freundschaften bereichern unser Leben.

Das dritte Motiv ist: Sicherheit und Prävention. Je besser wir uns kennen, je mehr wir voneinander wissen, desto geringer ist das Potential für Frust und daraus folgendes gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten wie Abschottung, Gewalt und Kriminalität. Selbstverständlich sind nicht alle Flüchtlinge gute Menschen. Unter ihnen wird es denselben Anteil von Egoisten und Kriminellen geben wie unter der deutschen Bevölkerung. Aber eine Ablehnung und Ghettoisierung der Menschen, die nun mal hier sind und bleiben werden, wird dieses destruktive Potential vergrößern. Bestmögliche Integration ist also in unser aller Interesse.

Aber sind wir nicht einfach nur naive „Gutmenschen“?

Vorweg: Der Begriff „Gutmenschen“ macht Menschen verächtlich, die es gut mit ihren Mitmenschen meinen. Und zur Sache: Wir nehmen die Herausforderung an, die sich uns stellt. Naiv erscheint uns eher die Vorstellung, es könne in unserer Region alles so bleiben, wie es war, wenn Deutschland und die Welt sich massiv verändern. Und naiv ist der Glaube, nur weil man „dagegen“ ist, würde die Globalisierung gestoppt und rückgängig gemacht. Die Auswirkungen von Krieg, Terror, Armut, Umweltzerstörung und einer ungerechten Wirtschaftsordnung beschränken sich nicht mehr auf andere Erdteile, sondern kommen direkt vor unserer Haustür an. Und die Opfer der vielen globalen Krisen werden sich weiter auf den Weg machen, um zumindest ihren Kindern menschenwürdige Lebensmöglichkeiten zu verschaffen.

Wir meinen: Für große Veränderungen gibt es keine schnellen Lösungen, und auf komplizierte Fragen gibt es keine einfachen Antworten.

Mit wem arbeiten wir zusammen?

Wir suchen das Gespräch und die Zusammenarbeit mit allen, denen die friedliche Entwicklung des Stadtteils und eine freundliche Haltung gegenüber neuen Bürgern am Herzen liegen.

Im ehemaligen OBI-Markt am Geutensweg haben einige hundert Flüchtlinge ein erstes Dach über dem Kopf gefunden; sie leben hier teilweise bereits seit September 2015 unter beengten Verhältnissen. Mit unseren Aktivitäten unterstützen wir partnerschaftlich die Mitarbeiter des Deutsche Rote Kreuzes.

Ebenso sind wir in engem Kontakt zu den Sozialarbeiterinnen von „fördern und wohnen“ in den beiden Folgeeinrichtungen Am Aschenland und in der Cuxhavener Straße 564. Hier leben Menschen mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus, bis sie eine eigene Wohnung gefunden haben.

Wir arbeiten mit dem „Landesbetrieb Erziehung und Bildung (LEB)“ zusammen und betreuen die jungen Erwachsenen in der Einrichtung Cuxhavener Straße 188.

Gemeinsam Sport zu treiben, sich dabei über Kooperation und Regeln auszutauschen und ohne Sprachbarrieren gemeinsam aktiv zu sein ist eine der besten Integrationsmöglichkeiten. Der TV Fischbek leistet seit vielen Jahren vorbildliche und deutschlandweit beachtete Integrationsarbeit. Wir arbeiten auf allen Ebenen eng mit dem TV Fischbek zusammen.

Lokale Partnerschaften / Demokratie ErLeben unterstützt unsere Arbeit regelmäßig.

Das Kulturhaus Neugraben, das BGZ und die Stadtentwicklungsgesllschaft (STEG) teilen unser Bestreben, bestmögliche Nachbarschaft in Süderelbe zu schaffen.

Der Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg-Ost finanziert die Assistenz des Leitungsteams der Initiative und unterstützt uns mit Fortbildungsangeboten und Beratung in Fragen der Öffentlichkeitsarbeit.

Mit der Bezirks- und Landespolitik sind wir im permanenten Gespräch über konkrete Verbesserungen der Lebensbedingungen für Flüchtlinge – und über Hindernisse und Hemmnisse.

Was bedeutet für uns Integration?

Integration lässt sich nicht an Politik und Verwaltung abgeben. Sie ist eine Aufgabe der Zivilgesellschaft, also von uns allen. Die Menschen, die zu uns kommen, bringen ihre eigene Kultur und ihre eigenen Werte mit. Diese sind uns zum Teil fremd und widerständig.

Wir wollen den neuen Mitbürgern mit Offenheit, Interesse und auf Augenhöhe begegnen und zugleich unserer eigenen Werte und Errungenschaften selbstbewusst vertreten.

Gleichberechtigung und gegenseitige Achtung von Frau und Mann, Gewaltlosigkeit, Religionsfreiheit, Gewaltenteilung, Pressefreiheit, sorgsamer Umgang mit unserer Umwelt, Respekt für die Würde des Einzelnen, Verantwortung für das Gemeinwohl und auch das Recht auf Asyl – auf all diesen Werten beruht unsere Demokratie.

Das Vermitteln unserer Regeln und Werte geschieht am besten durch gegenseitiges Zuhören und Vorleben – und nicht durch Belehrungen. Für beide Seiten ist es im Übrigen hilfreich, sich bewusst zu machen, dass viele der von uns heute mit Recht verteidigten Werte – wie zum Beispiel die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, die Gleichberechtigung von Frauen und der Verzicht auf Gewalt auch in der Ehe und in der Kindererziehung – noch vor wenigen Jahrzehnten auch bei uns keineswegs selbstverständlich waren. Dieses Wissen bewahrt uns davor, hochmütig zu werden – und es zeigt den neuen Mitbürgern, dass auch solche Dinge veränderbar sind, die sie aus ihrer Heimat und ihrer bisherigen Lebenserfahrung als angeblich unverrückbar kennen.

Integration setzt voraus, dass jeder Flüchtling als Individuum gesehen und behandelt werden. „Die Flüchtlinge“ gibt es ebenso wenig wie „die Deutschen“ oder „die Frauen“. Es gibt keine Zentralregierung „der Flüchtlinge“, die deren Handeln steuert – und für eine dumme oder verachtenswerte Tat eines Flüchtlings sind nicht alle anderen Flüchtlinge verantwortlich.

Machen wir hier (Welt)Politik?

Die Initiative versteht sich nicht als politische Organisation, und das Leitungsteam erhebt nicht den Anspruch, in allen politischen Fragen für alle Unterstützer der Initiative zu sprechen. Wir können weder die Ursachen der Flucht direkt beeinflussen noch die Gesetze, die die Situation der Flüchtlinge regeln. Wir folgen vielmehr dem Motto „Global denken – lokal handeln.“

Aber natürlich entfaltet eine so große Zahl von Menschen, die sich bei einem politisch so relevanten und diskutierten Thema engagieren, eine politische Wirksamkeit. Das Gewicht dieses Engagements wollen wir nutzen, um die konkreten Bedingungen für die Flüchtlinge und für ihre Integration in unserem Stadtteil so gut wie möglich zu machen.

Aber was ist mit den anderen Menschen in Not?

Das Engagement für Obdachlose, Hartz-IV-Empfänger etc. in Süderelbe ist seit vielen Jahren eine gute Tradition in der Arbeit der Kirchengemeinden und des TV Fischbek und anderer Akteure – schon lange bevor versucht wurde, die Hilfe für die verschiedenen Bedürftigen gegeneinander aufzurechnen. Wir freuen uns über jeden, der sich der Not von Menschen in unserem Stadtteil ebenso nachhaltig und vorurteilsfrei annimmt, wie viele Mitglieder unserer Initiative dies seit langem tun.